Pro und Kontra

Schluss mit dem Tiermord?

Auf dem Kirchentag vom 13.-17. Juni in Frankfurt/Main wird es eines der großen Themen sein: Fleisch. BSE, MKS und Co. haben die Verbraucher verunsichert. Hier streiten die Tierrechtlerin Hanna Rheinz und CHRISMON-Redakteur Eduard Kopp über Lehren aus der Krise

PRO: Tiere zu töten ist unmenschlich

Die apokalyptischen Viehtreiber gehen um: Scheiterhaufen, Tierleiber in Flammen, zuckend wie unter Peitschenschlägen. So, als wollten sie sich vor dem Verglühen noch ein letztes Mal gegen die Vernichtung auflehnen. Gestank und der Ruß von 2,5 Millionen Tierkadavern verpesten die Luft.

Nicht nur die Fleischproduzenten, sondern auch die Ethiker beklagen zunächst lediglich die Vergeudung. Fleischesser regen sich darüber auf, dass die Filetstücke nicht in der Pfanne enden, sondern in der Verbrennungsanlage. Warum stimmen sie dieses Lamento über "sinnlos" getötete Tiere an? Gibt es überhaupt "sinnvolles" Töten? Oder haben sich diplomatische Tierschützer und Agrar-Lobbyisten auf diese Floskel als eine Kompromiss-Formel geeinigt? Spiegelt sie die verlogene Moral der Verbraucher wider, deren Tierfreundlichkeit beim erstbesten Sonderangebot an der Fleischtheke vergessen ist?

Die Forderung nach einer Wende in der Agrarpolitik ähnelt dem Zeitfenster, das nur wenige Sekunden geöffnet war - ein Augenblick des großen Schreckens, der gewichen ist. Und die Frage, ob Tiere eine Seele haben, erscheint angesichts des Umgangs mit ihnen überflüssig. Seelen würde man nicht zu Hunderttausenden der Vernichtung preisgeben. Müßig ist die Frage auch deswegen, weil sie unser Verhalten den Tieren gegenüber nicht verändern würde. Kein Kindersklave, kein Mitglied einer verfolgten Minderheit ist jemals gerettet worden, nur weil es eine Seele sein eigen nannte.

Die eigentliche Frage ist, ob wir als Tiernutzer nicht längst unsere eigene Seele verkauft und verloren haben. Verkauft an die Welt des Überflusses, in der es sich so bequem leben, vor allem jedoch so bequem töten lässt.

Töten ist Teil des Lebens. Doch die Ausrottung haben erst die Menschen erfunden. Und mit ihr die Gleichgültigkeit, die aus der Abwehr der Schuld entsteht. Ungeheuerlich ist nicht, wie das große Gemetzel im Dienst der Marktregulierung begründet wird; je nach Bezugspunkt lässt sich alles irgendwie als vernünftig hinstellen. Das Unfassbare ist, dass eine Tötungsbürokratie entstanden ist, ein gut funktionierendes System, das nicht das einzigartige Gut des Lebens, sondern nur Hab und Gut zu schützen bereit ist.

Nicht die Individualität der Tiere zählt, sondern deren Verkäuflichkeit. Nicht das Lebewesen zählt, sondern das Produkt, denn es muss einem unersättlichen Markt angepasst werden, der am Ende jedes Geschöpf, auf welcher Stufe der Evolution auch immer, der finalen Keulungs-Aktion zuführen würde, wenn dies die Markt- oder Lebensraumsicherungspolitik für geboten hielten.

Zu den folgenschwersten Traditionen des Abendlandes gehört eben jene kollektive Störung des Einfühlungsvermögens, die Wissenschaftler und Politiker, Jäger oder Sportfreunde daran hindert, im anderen Lebewesen das beseelte Du zu erkennen, das ein Anrecht auf Leben hat und Schutz verdient.

Die Möglichkeit, jederzeit ein Todesurteil auszusprechen, um das, was stört, aus dem Weg zu räumen und auszurotten, hat eliminatorische, auf Vernichtung ausgerichtete Haltungen hervorgebracht, die mit vielen Argumenten und Theorien begründet worden sind. Die rassenbiologische Ideologie der Nationalsozialisten ist nur eine besonders perverse. Eine andere ist die Suche nach Vollkommenheit. Allem Vollkommenen liegt der Wunsch zugrunde, das Unvollkommene auszulöschen.

Der neueste Aufguss dieser nicht auf Lebenserhalt, sondern auf Ausrottung und Manipulation gerichteten Haltung, ist der Eingriff ins Erbmaterial. In das menschliche ebenso wie in das tierliche, mit dem Ziel, leistungsfähigere, gesündere, intelligentere Wesen zu züchten. Eliminatorisch ist diese Haltung, weil sie bereit ist, die Erbanlagen, Anatomie und Verhaltensweisen anderer Lebewesen zu vernichten oder tief greifend zu verändern, damit sie den eigenen Interessen besser dienen. Möglich wird diese Haltung, weil wir gelernt haben, Leib und Seele auseinander zu dividieren. Beim Menschen ebenso wie beim Tier.

Nicht hinterfragte Macht- und Kontrollwünsche haben dazu geführt, dass heute sogar Infektionskrankheiten wie die Maul- und Klauenseuche mit Keulungs-Aktionen bekämpft werden, ohne dass andere Lösungen ernsthaft in Erwägung gezogen würden. Archaische Verhaltensmuster wie das Töten haben sich mit totalitär anmutenden Durchführungsverordnungen verbunden. Das lässt für die Zukunft nichts Gutes erwarten, bedenkt man, wie leicht und undramatisch sich heute in den Genlabors und Fertilitätszentren das Ausmerzen des Kranken und Schwachen gestalten lässt. Das Ziel eines leistungsfähigen, seuchen- und virenbereinigten Vieh- oder Menschenkörpers genießt eine große Akzeptanz.

Zur eliminatorischen Haltung gehört vor allem, die seelischen Folgen der Tötungsaktionen nicht zu bedenken, weiterhin so zu tun, als ob Töten nicht Spuren im kollektiven Gedächtnis hinterließe. Narben, die an anderer Stelle wieder aufbrechen und neue Wunden schlagen werden.

Wer die Seele der Tiere ernsthaft beachtet, wird sich der archaischen Elemente von Töten und Ausrotten im menschlichen Handeln bewusst. Einst wurde das nur unter strengsten Auflagen gewährt. Etwa für religiöse Zeremonien oder für das Überleben von Familie und Sippe. Heute könnte aus ernährungswissenschaftlichen, vor allem jedoch ethischen Gründen, auf dieses Anrecht, Tiere zum Verzehr zu töten, leicht verzichtet werden. Ganz abgesehen vom Zugewinn an Genussfreude und Lebensqualität, die mit einer vegetarischen und veganen Lebensform einhergehen.

All dies mag derzeit eher als Vision denn als Lösung erscheinen. Doch nur wer die seelischen Folgen des zerstörerischen Umgangs mit Tieren bedenkt, kann aus dem Teufelskreis der Lebensvernichtung ausbrechen, in dem Menschen ebenso Gefangene sind wie ihre Schicksalsgefährten, die Tiere.

Hanna Reinz

Die Autorin ist freiberufliche Publizistin, Psychologin und Lehrbeauftragte an der Universität München. Sie hat mehrere Bücher über das Verhältnis des Menschen zum Tier veröffentlicht, zuletzt "Tiere, Frauen, Seelenbilder. Die neue Tierpsychologie". Frauenoffensive, München 2000. Als praktizierende Jüdin meldet sich Hanna Rheinz regelmäßig zu Fragen jüdischen Lebens in Deutschland zu Wort.

KONTRA: Tiere zu töten ist unser gutes Recht

Der Veterinär im Schlachthof ist sich seiner Sache sicher: "Natürlich haben Tiere eine Seele. Schauen Sie ihnen genau in die Augen. Dort können Sie tiefe Angst vor dem Tod lesen." Der Tierarzt tritt einen Schritt zur Seite, um den Blick freizugeben auf einen kleinen, älteren Mann. Der tritt im Minutentakt hinter einem Blickschutz hervor, setzt den Kühen das Bolzenschussgerät blitzschnell zwischen die Hörner und lässt es knallen. Die Kühe fallen betäubt nach rechts durch eine Klappe, werden dahinter an den Beinen aufgehängt, bekommen sogleich die Halsschlagader aufgeschlitzt, um dann kopfüber auszubluten und zu sterben.

Tiere haben eine Seele, und die hauchen sie verlässlich nach zwei, drei Minuten aus. Das Töten eines Tieres ist der Normalfall für Menschen, die an reich gedeckten Tischen speisen. Der tausendfache Tod ist gesellschaftlicher Komment. Nicht die Schlachter und Schächter sind die treibenden Kräfte der fleischhungrigen Gesellschaft, sondern wir, die Konsumenten.

Tiere zu töten ist alltägliche Übung. Menschen wollen Fleisch essen. Menschen wollen Milch trinken. Und das hat seine guten Gründe. Wer sich aus Barmherzigkeit gegenüber den Tieren vegetarisch ernährt, also auf den Genuss von Fleisch verzichtet und stattdessen Käse, Milch und Joghurt isst, wird ebenso zur treibenden Kraft in der fabrikmäßigen Tierproduktion wie der Fleischliebhaber. Denn Kühe geben Milch nur dann im gewünschten Ausmaß, wenn sie besamt werden, kalben und sich in einer Art immer währendem Mutterglücks wähnen. Das reine Gewissen der Vegetarier ist pure Selbsttäuschung.

Das Töten der Tiere ist gleichwohl kein leichthändiger Akt, sondern kompliziert, belastend. Dennoch: Tiere zu töten ist des Menschen Recht. Das ganze Leben dieser Nutztiere steht unter dem Zweck, die Ernährung der Menschen sicherzustellen. Von der künstlichen Besamung des Muttertiers bis zum Tod des Schlachttiers ist alles auf diese Verwendung hin geordnet. Es ist ein verzwecktes, kein selbst bestimmtes Leben: nicht aus Zufall oder in den Launen der Natur gezeugt, nicht dem friedlichen Trott des Landlebens oder dem Spiel der Kinder überlassen, nicht auf einen eigenen Namen "getauft" und ohne direkten "Familienanschluss" in der Bauernfamilie. Diese Verzweckung ist christlich zu rechtfertigen und moralisch berechtigt.

Für Adam und Eva galt Gottes Auftrag (1. Buch Mose 1, 28): "Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht" (nach der Übersetzung von Martin Luther). Der hebräische Text lässt keine Rückschlüsse darauf zu, welche genauen Befugnisse der Mensch im Blick auf die Tiere hat. Nur so viel ist klar: Er soll sich den Tieren gegenüber verhalten wie ein Hirt seiner Herde gegenüber: fürsorglich, bewahrend. Kein Zweifel jedoch, dass am Ende eines solches Tierlebens die Schlachtbank wartet.

Den entschlossendsten Vegetariern erscheint es als ausgemachte Sache, dass Jesus kein Fleisch aß. Lediglich an einer Bibelstelle isst er Fisch, aber da ist er bereits auferstanden und will und muss belegen, dass er kein Geist ist. Hat Jesus beim Letzten Mahl einen Lammbraten gegessen? Da ziehen sich Vegetarier auf die Argumentation zurück: Jesus sprach den Segen nur über Brot und Wein. Vielleicht war dieses Abschiedsmahl überhaupt kein Passahmahl, bei dem traditionell ein Lamm auf den Tisch kam: Matthäus, Markus und Lukas erwähnen den Braten mit keinem Wort.

Hinweise wie diese führen zu der weitreichenden Interpretation des Frankfurter Religionspädagogen und Vegetarismus-Verfechters Guido Knörzer: "Es würde zum Erlöser der Welt nach jüdischer Denkvorstellung eigentlich nicht passen, dass er Gottes Schöpfung dadurch erlösen will, dass er sich an der Tötung von Lebewesen direkt oder indirekt beteiligt" (so in seinem Buch "Töten und Fressen?"). Doch der Autor übersieht, dass Christen von den jüdischen Speisegesetzen entbunden sind, und damit von der Pflicht zur koscheren Ernährung: dem Verzicht also auf Schweinefleisch zum Beispiel oder auf die Zubereitung von Fleisch und Milch in getrennten Gefäßen.

Vegetarismus? Veganertum? Die biblischen Quellen bleiben da jede Verweisstelle schuldig. Da hilft auch nicht die Erinnerung an paradiesische Zustände. Dort durften die Menschen nur von den Samen der Pflanzen essen. "Das ist sozusagen die von Gott gewollte Speiseordnung", wie Guido Knörzer meint. Erst nach dem Sündenfall, den wir biblisch mit dem Genuss der verbotenen Baumfrüchte gleichsetzen, kamen Gewalt und Tod in die Welt - für Mensch und Tier gleichermaßen.

Das Töten von Tieren ist der Normalfall für Menschen. Wir Konsumenten sind die treibenden Kräfte des Fleischhungers Wenn gegenwärtig über das Desaster auf den Bauernhöfen die Rede ist, geht es um dramatische Missstände in Tierzucht und Tierhaltung, nicht um Vegetarismus und Veganerdasein, also Fleisch und Milchverzicht. Christen waren die ersten und entschlossendsten Interessenwalter der Tiere. Evangelische Theologen spielten eine zentrale Rolle in der Entstehung der deutschen Tierschutzbewegung: Das Buch des Schweizers Peter Scheitlin "Versuch einer vollständigen Thierseelenkunde" (1840) lässt keinen Zweifel an den Rechten der Menschen, Tiere zur Nahrungsproduktion zu töten. Und selbst dem pietistischen Pfarrer Christian Adam Dann (1758-1837), Autor programmatischer Tierschutzschriften wie der "Bitte der armen Thiere", ging es um Tierrechte und Tierschutz, nicht aber um die Abschaffung des Rechts, Tiere zu schlachten. Ebenso ist Christen heute zu empfehlen, sich über das Wie der Tierzucht und -haltung den Kopf zu zerbrechen, nicht aber über das Dass.

Um noch einmal die Behauptung des Tierarztes aufzugreifen: "Natürlich haben Tiere eine Seele", so lohnt es sich genau nachzufragen, was man unter der Seele versteht. Für Juden ist die Seele eng an das Blut des Geschöpfes gebunden: "Die Seele des Fleisches ist im Blute", gilt seit ältester jüdischer Zeit (3. Buch Mose 17, 11). Dass Tiere eine unsterbliche Seele hätten - das schwingt heute beim Begriff Seele inhaltlich mit -, ist theologisch abwegig. Bereits für Kirchenvater Augustinus (354-430) war klar, dass nur der Mensch eine unsterbliche Seele hat, jene des Tieres aber mit dem Tod erlischt. Tiere sind nicht für die Ewigkeit geschaffen.

Deshalb ist auch die umlaufende Annahme, dass Tiere eine Seele haben, kein Grund, sie dem Schlachten zu entziehen. Denn ihre "Seele" ist nur ein anderes Wort für Leben. Ihr Lebensrecht mit dem Leben zu begründen oder umgekehrt wäre ein Zirkelschluss.

Eduard Kopp

(Chrismon, ev. online-zeitung, Juni 2001)

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