Artensterben: Eine Chance für bedrohte Tiere?

Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit starben in so kurzer Zeit so viele Pflanzen und Tiere aus wie in den letzten hundert Jahren. In Zusammenarbeit mit der Naturschutzorganisation WWF stellt Spiegel online in einer vierwöchigen Serie Arten vor, denen die Ausrottung droht.
von Alwin Schröder

"Lonesome George" hat ein Problem, das ihn selbst nicht sonderlich zu stören scheint, umso mehr aber seine Beobachter: Er weigert sich seit Jahren, mit einem Weibchen Sex zu haben.

An und für sich wäre die Sache mit "Lonesome George" nicht so tragisch. Aber: Er ist der letzte männliche Vertreter der Unterart Geochelone nigra abingodi - Tierliebhabern eher als Galapagos-Riesenschildkröte bekannt. Und sollte sich "Lonesome George" (geschätztes Alter: zwischen 70 und 150 Jahre) nicht endlich mit dem weiblichen Mitglied einer anderen Unterart paaren, sind seine kostbaren Gene für immer von dieser Welt verschwunden, wenn er in spätestens hundert Jahren stirbt.

Seine direkten Verwandten von der Pazifik-Insel Pinta waren von Walfängern und Fischern nach und nach allesamt vernichtet worden - "Lonesome George" wurde damit zu einem Symbol für aussterbende Arten, für das Drama, das sich in den letzten hundert Jahren in den Savannen, Wäldern und Flüssen dieser Erde abspielt.

Die Menschheit ist gerade dabei, Arten 1000- bis 10.000-mal schneller auszulöschen, als dies bislang durch den natürlichen Prozess der Evolution geschah. Beängstigend sind die Fakten, die die Internationale Rote Liste gefährdeter Arten (IUCN 2000) liefert: Die verschiedenen Gefährdungskategorien enthalten inzwischen 24 Prozent aller Säugetiere, zwölf Prozent der Vogelarten und sogar 48 Prozent aller untersuchten Pflanzenarten.

Kaum jemand nimmt vom täglichen Artenschwund Notiz

Unwiderruflich verschwunden sind zum Beispiel schon drei der acht ursprünglich existierenden Tigerunterarten, bei der vierten ist das Ende kaum noch zu verhindern. Das gleiche Schicksal droht auch dem Java-Nashorn, das mit einem Bestand von weniger als 70 Tieren zum seltensten Großsäuger der Welt geworden ist.

Von vielen anderen Arten, die in Gefahr sind oder schon von dieser Erde verschwunden sind, nimmt kaum jemand Kenntnis - weil sie keine Emotionen hervorrufen wie Tiger oder Nashörner, obwohl sie aber eine zumindest genauso wichtige Rolle in der Natur und damit auch für den Menschen haben.

Das Aussterben ist ein schleichender Prozess: Zuerst verringern sich nur die Bestände, dann werden einzelne Unterarten ausgelöscht, schließlich sind die Tiere nicht mehr in allen traditionellen Regionen, sondern nur noch in einigen wenigen Gebieten verbreitet - und die Art stirbt aus.

30 Milliarden Dollar Umsatz beim Handel mit Tieren

Für den Artenschwund sind die mehr als sechs Milliarden Menschen verantwortlich. Sie benötigen immer mehr Lebensraum, verändern ihn radikal nach ihren Vorstellungen: In den vergangenen hundert Jahren wurde die Hälfte aller Tropenwälder abgeholzt, die Hälfte der Sümpfe trocken gelegt.

Aber auch durch den Handel mit seltenen Tieren und Pflanzen sind manche Arten schon ausradiert worden. Rund 30 Milliarden Dollar werden pro Jahr international umgesetzt, ein Drittel davon illegal. Um dem entgegenzuwirken, wurde zum Beispiel 1973 das Washingtoner Artenschutzabkommen Cites verabschiedet, das das internationale Geschäft mit den seltenen Kreaturen zu deren Schutz regeln soll.

Kann es noch ein Happy End in diesem Drama geben? Bleibt wirklich nur der Versuch, in Zoos gezüchtete Tiere wieder auszuwildern? "Das kann nur das Mittel der letzten Wahl sein", meint Roland Melisch, Artenschutzexperte beim World Wild Fund For Nature (WWF) in Deutschland. "Es ist sinnvoller, schon ganz früh damit anzufangen, die Artenvielfalt in der Wildnis zu erhalten."

Um erfolgreich gegen das Aussterben einer Art vorgehen zu können, müsse man den verbliebenen Bestand und ihre Bedrohung kennen. Beim Kampf um die Tiger in Asien zum Beispiel sei der Kontakt zu Bauern und Jägern wichtig, die die große Raubkatze töten, weil sie ihre Tiere reißt. "Und man muss der Wilderei und dem Raubbau an Wäldern und Meeren ökonomische Alternativen entgegensetzen", fordert Melisch.

Letztlich musst der Mensch wohl überzeugt werden, dass er ein Teil der Natur ist und die Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten als Mitgeschöpfe achtet und oft sogar braucht: als Lieferanten von Nahrung, Kleidung, Schmuck oder wichtigen medizinischen Substanzen - unter Einhaltung des ökologischen Gleichgewichts. Sonst würde der mahnende legendäre Film von Bernhard Grzimek unweigerlich zur Realität werden: "Kein Platz für wilde Tiere." (Spiegel online, 21. August 2001)

Hinweis: Pressemeldungen entsprechen nicht unbedingt den Tatsachen und geben daher nicht notwendigerweise die Ansichten von veganismus.de wieder.


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