"Die Zahl der Hungernden ist sofort halbierbar"

Agroexperte Devinder Sharma über falsche Versprechungen der Biotech-Unternehmen und fehlenden politischen Willen zur Hungerbekämpfung

Interview: Katharina Koufen

Ist es nicht eine fantastische Vorstellung, dass wir in ein paar Jahren vielleicht Getreidesorten haben, die mitten in der Wüste wachsen?

Ich glaube, Sie haben zu viele Science-Fiction-Filme gesehen. Das ist eine Illusion, und wer von so was ausgeht, wird enttäuscht werden. Schauen wir doch mal, wo die Biotechnologie heute steht: Natürlich sagen die Unternehmen, sie werden bald Getreide haben, das resistent gegen Dürre und Hitze ist. Die Bauern werden dann alle in der Lage sein, diese Sorten zu nutzen. Alles wird gut . . . Aber in Wirklichkeit entwickelt die Industrie Getreidesorten, die nur gegen die Pestizidsorte resistent sind, die die eigene Firma herstellt - was bedeutet: Wenn man das Saatgut kauft, muss man auch das passende Unkrautvernichtungsmittel kaufen. Das heißt: Die Unternehmen erlangen die Kontrolle über die Nahrungsmittelkette.

Aber sogar der letzte UNO-Entwicklungsbericht empfiehlt gentechnisch veränderten Reis - damit könnten die Ernteerträge um bis zu 50 Prozent gesteigert werden.

Das ist doch ein Bericht, der von den Unternehmen gesponsert ist. Die UNO braucht Geld. Kein Wunder, dass sie so etwas tut. Also behauptet sie, Gentechnologie sei ein Zaubermittel. Aber in Wirklichkeit führt das am Hungerproblem vorbei. Auch die Regierungen befürworten die Gentechnologie. Das zeigt aber nur, dass sie den Kontakt zur Basis verloren haben. Bei uns sind das die Bauern.

Heißt das, die Forscher und Unternehmer, die sich in Bonn auf der Ifpri-Tagung getroffen haben, sollten solche Tagungen künftig sein lassen und das Feld für die Politiker räumen?

Wir sollten uns nicht darum kümmern, was diese Unternehmen tun. Denn die haben ihre eigenen Interessen, und die haben nichts mit der Beseitung des Hungers zu tun. Die Biotech-Unternehmen tragen nichts zur Nahrungsmittelsicherheit bei. Sie setzen nicht an der Wurzel des Übels an.

Und die wäre?

Die ungerechte Verteilung der Nahrungsmittel! Wenn wir auf der Ifpri-Konferenz in Bonn hören, dass jeden Tag 800 Millionen Menschen hungrig zu Bett gehen und sich diese Zahl bis zum Ende des Jahrzehnts auf 1,4 Milliarden erhöhen wird - und dass wir deshalb die Nahrungsmittelproduktion steigern müssen und dafür die Gentechnik brauchen -, dann stimmt das einfach nicht. Wenn die Nahrungsmittel gleichmäßiger verteilt wären, hätten wir heute sogar noch einen Überschuss. Schauen Sie doch mal Indien an: Ein Drittel der Inder leidet Hunger - gleichzeitig verrotten tausende Tonnen von Getreideüberschüssen in den Lagern.

Warum?

Weil die Regierung sie lieber exportieren will. Es ist genug Nahrung da. Aber es fehlt an politischem Willen zur Umverteilung. Auf der nächsten Konferenz der FAO [UN-Organisation für Nahrungsmittel und Landwirtschaft, die Red.] im November in Rom werden die Staatschefs wieder mal daherbeten, dass sie die Zahl der Hungerleidenden bis 2015 halbieren wollen. Wenn sie wirklich ernstlich daran interessiert wären, könnten sie das jetzt schon tun, dieses Jahr - denn die Hälfte der Hungernden lebt in Indien, Pakistan, Bangladesch. Und wir haben genug zu essen! (taz, 07. September 2001)

Hinweis: Pressemeldungen entsprechen nicht unbedingt den Tatsachen und geben daher nicht notwendigerweise die Ansichten von veganismus.de wieder.


veganismus.de