Tierliebe und Menschenliebe

Wie dem Tier, so ich dir?

Im Tierfreund steckt nicht immer der gute Mensch - jugendliche Tierquälerei kann allerdings ein Warnsignal sein

von Rolf Degen

"Wer gegen Tiere grausam ist, kann kein guter Mensch sein." Mit diesem Satz hat der Philosoph Arthur Schopenhauer eine Annahme formuliert, die tief in der abendländischen Kultur verwurzelt ist: Im Verhältnis zu seinen Mitgeschöpfen spiegelt sich das Verhältnis des Menschen zu seinesgleichen wider. Doch wie der Blick auf die empirischen Befunde lehrt, geht dieser Glaube an der Realität vorbei - Tierliebe und Menschenliebe sind zwei Paar Stiefel. Bedeutende Humanisten vergangener Jahrhunderte waren zugleich überzeugte Tierliebhaber. Sowohl Albert Schweizer als auch Mahatma Gandhi brachten menschliche und moralische Erhabenheit ausdrücklich mit der Hochachtung für die Tierwelt in Verbindung. Der gleiche Grundgedanke kehrt in vielen zeitgenössischen Quellen wieder, analysiert die Veterinärmedizinerin Elizabeth Paul von der Universität Bristol: Wer Wärme und Wohlwollen für Tiere übrig hat, behandelt auch seine Artgenossen nett. Tierquälerei wiederum geht mit Menschenfeindlichkeit und Sadismus einher. Allerdings existierte immer auch schon eine Gegenströmung, die heute nur noch schwach vernehmbar ist. Menschen, die Tiere mit Zuwendung überschütten, sind nach dieser Auffassung in der zwischenmenschlichen Sphäre gestört. Im Mittelalter konnte man sich durch allzu innigen Umgang mit Tieren gar der Hexerei verdächtig machen.Empirische Untersuchungen der letzten Jahre machen klar, dass der Glaube an den "guten Menschen" im Tierfreund in die allgemeine Wahrnehmung eingegangen ist. Passanten, die mit einem Hund vorbei flanierten, wurden viel häufiger Menschen angesprochen. Sie ernteten auch häufiger freundliche Blicke und Lächeln und wurden anderen Menschen "blind" als überdurchschnittlich freundlich, glücklich und entspannt eingestuft.Als man definierte Gruppen von Tierhaltern mit ähnlichen Gruppen von Nicht-Tierhaltern verglich, kamen jedoch erste Ungereimtheiten ans Tageslicht. Bei einer Erhebung stachen just die Tierhalter durch eine etwas geringere "Sympathie für andere Menschen" hervor.In einer anderen Studie wurden Hundehalter nach niedriger, mittlerer und hoher Zuneigung zu den Vierbeinern eingestuft. Bei dieser Einteilung ging eine mittlere Sympathie für Hunde mit der höchsten Sympathie für Menschen einher. Hundehalter, die nur geringe oder sehr hohe Zuneigung zu ihren Tieren empfanden, fielen dagegen in ihrer Sympathie für Menschen ab.Der Vergleich der sozialen Netzwerke von Tierhaltern und Nicht-Tierhaltern fällt ebenfalls widersprüchlich aus. Bei Studenten, die Haustiere halten, ist die Zahl der zwischenmenschlichen Kontakte erhöht. Eine Studie an älteren Frauen ermittelte jedoch einen andern Trend. Das soziale Netzwerk hatte bei den Tierhalterinnen einen kleineren Umfang. Wahrscheinlich müssten die Fragen viel differenzierter sein, gibt die Autorin zu bedenken. Welche Menschen und welche Tiere liebt man, wie genau sieht die Liebe zu den betreffenden Kreaturen aus? Eine anderer Ansatz hebt auf die gesamtgesellschaftliche Ebene ab. In Kulturen, in denen Tiere große Wertschätzung genießen, ist nach dieser These auch die Wertschätzung des menschlichen Lebens groß. Einfache Agrargesellschaften, in denen Tiere nur nach utilitaristischen Nutzenserwägungen gehalten werden, behandeln demnach auch sozial Schwache schlecht. Aber es lassen sich leicht Gegenbeispiele aufführen. Mit dem Ausmaß der Hunde- und Katzenhaltung stieg zum Beispiel in allen Industrienationen die Mordrate an. Noch extremer stellten die Nazis die These auf den Kopf. Obwohl sie unvorstellbare Gräuel an Menschen anrichteten, behandelten die Nazis Tiere außerordentlich human. So wurde unmittelbar nach der Machtübernahme ein beispiellos scharfes Tierschutzgesetz durchgepeitscht. Die gleichen sadistischen Despoten, die Menschen zu Untermenschen herabsetzten, leisteten Pionierarbeit für das Wohl der Mitgeschöpfe.Eine andere Theorie besagt, dass eine Überschneidung von Tierliebe und Menschenliebe durch Empathie, also einfühlendes Miterleben zustande kommt. Wer für das Leid des Tieres empfänglich ist, nimmt auch das Leid anderer Menschen mit seinen feinen Antennen auf. Die empirischen Studien, bei denen Empathie für Tiere und Menschen gemessen wurden, ermittelten jedoch höchstens einen geringfügigen Zusammenhang. Eine spezielle Untergruppe, nämlich die der Frauen, weist tatsächlich leicht erhöhte Empathiewerte für Tiere und Menschen auf. Doch selbst bei dieser speziellen Gruppe wird der schwache Zusammenhang durch andere Faktoren überlagert. Bei Frauen, die schwanger sind oder Kinder kriegen, bildet sich das affektive Band zur Fauna zurück. Doch zumindest ein Aspekt der ursprünglichen Annahme wird durch die Empirie gestützt. Es ist eine Vorstellung, die bereits der Dichter Jean Paul so formulierte: "Der kleine Tierquäler erwächst zu einem harten, grausamen Mann." In den späten 70er Jahren stellten die Verhaltensforscher des FBI bei ihren Studien an schweren Gewaltverbrechern und Serienmördern fest, dass den grausamen Taten in der Kindheit und Jugend häufig ein Hang zur Tierquälerei vorausgegangen war. Genau genommen ist es die Triade aus Bettnässen, Brandstiftung und Tierquälerei, die nach Ansicht der FBI-Psychologen den Nährboden für späteren Sadismus bildet und die heute in keinem Thriller über Serienmörder mehr fehlt.Nach neuesten Statistiken des US-Tierschutzverbandes wird Tierquälerei zu 94 Prozent von männlichen Tätern verübt. Andere Zahlen belegen, dass ein Band zwischen fortgesetzter Tierquälerei und Gewaltbereitschaft gegen Menschen existiert. 52 Prozent aller gewalttätigen Gefängnisinsassen hatten ihren Sadismus an Tieren ausgelebt, bevor sie auf ihresgleichen besannen. Von den nicht gewalttätigen Gefängnisinsassen hatten nur 17 Prozent Tiere gequält (Der Tagesspiegel, 26. Juni 2001).

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