Biosiegel O.K., das zweite Siegel wird von der Industrie bestimmt

Mehr Licht im Stall

von Manfred Kriener

Stell dir vor, du gehst einkaufen und siehst auf einen Blick, was echte Qualität ist. Weil die richtig guten Kartoffeln, die guten Äpfel, weil Fleisch und Wurst aus vernünftiger Tierhaltung und Schlachtung mit einem Siegel ausgestattet sind, auf das du dich als Kunde tatsächlich verlassen kannst. Die Vorstellung kann einen euphorisch machen.

Leider ist die Realität bisher eine andere. Aber jetzt kommt ja Frau Künast mit ihren beiden Siegeln. Gestern hat die Ministerin das Biosiegel vorgestellt. Weit spannender und von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, läuft der Deal um das zweite Siegel, das für konventionelle Produkte vorgesehen ist. Dieses zweite Zeichen betrifft 96 Prozent der deutschen Produktion.

Während wir noch das neue Biozeichen tätscheln, werden beim zweiten Siegel die Weichen grundlegend gestellt. Und es steht zu befürchten, dass sie falsch gestellt werden. Das Künast-Ministerium hat sich weitgehend zurückgezogen und das konventionelle Zeichen in privatwirtschaftiche Hände gegeben. Seitdem pokern Handel, Bauernverband, CMA (der PR-Verein der Agroindustrie), Fleischwaren- und Futtermittelhersteller um die Kriterien. Da diese fünf Zocker in Sachen Qualität und Tierschutz nicht gerade die Speerspitze der Bewegung verkörpern, ist jedes Misstrauen berechtigt. Und was bisher durchgesickert ist, bestätigt die Skeptiker.

Das zweite Siegel soll so ausgestaltet werden, dass möglichst viele Bauern und Tierhalter dieses Qualitätszeichen für ihre Produkte bekommen. Kurz: Es wird zur billigen Münze! Die Kriterien sind offenbar so wenig ambitioniert, dass der unerträgliche Normalzustand im deutschen Stall kaum nennenswert verbessert wird. Ein Mehr an Umwelt- und Tierschutz ist derzeit kaum erkennbar. Ein paar Zugeständnisse bei Antibiotikaeinsatz und Salmonellenüberwachung reichen nicht aus für die versprochene Wende im Stall.

Das Fleisch von Tieren, die stundenlang zum Schlachthof transportiert wurden, die auf Spaltenböden gehalten wurden, die kein Tageslicht kannten, die mit Arznei voll gepumpt und in großer Hetze ohne längere Ruhepausen getötet wurden, kann und darf nicht auch noch mit Qualitätssiegeln belohnt werden.

Über die Kriterien für das zweite Siegel muss endlich diskutiert werden, die Anhörungen müssen öffentlich sein. Und: Das Verbraucherschutzministerium darf sich weder in die Zuschauerrolle noch in die eines Moderators begeben. Es muss aktiv mitmischen und dafür Sorge tragen, dass die Kritierien ein vernünftiges Niveau erreichen. Nicht nur Schwein oder Huhn, auch die Agrarwende braucht mehr Tageslicht. (taz, 06. September 2001)

Hinweis: Pressemeldungen entsprechen nicht unbedingt den Tatsachen und geben daher nicht notwendigerweise die Ansichten von veganismus.de wieder.


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